Cover
Titel
Far Beyond the Moon. A History of Life Support Systems in the Space Age


Autor(en)
Munns, David P. D.; Nickelsen, Kärin
Reihe
Intersections: Histories of Environment, Science, and Technology in the Anthropocene
Erschienen
Anzahl Seiten
206 S.
Preis
$ 35.00
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Tilmann Siebeneichner, Lehrstuhl für Neueste und Zeitgeschichte, Humboldt-Universität zu Berlin

Als der inzwischen 90-jährige William Shatner, bekannt vor allem als Darsteller des Captain Kirk in der legendären Science Fiction-Serie Star Trek, unlängst (für nicht einmal zehn Minuten) ins All flog, zeigte das ihn begleitende Medienecho einmal mehr, dass menschliche Ausflüge in den Weltraum nichts von ihrem Glamour verloren haben. Mit diesem glanzvollen Image aufzuräumen, das trotz einer inzwischen 50-jährigen, an technischen Komplikationen und tragischen Katastrophen reichen Geschichte ungebrochen scheint, ist das erklärte Ziel des vorliegenden Buches. Zu diesem Zweck widmen sich David P.D. Munns und Kärin Nickelsen mit spitzer Feder und spürbarer Lust am Geschmacklosen dem Problem extraterrestrischer Exkremente. Dass es bei dieser Frage ‚um die Wurst geht‘, hat, wie beide schnell klarmachen, mehr als nur sprichwörtliche Bedeutung: Um Menschen in den Weltraum zu bringen, war es notwendig, die Schwerkraft zu überwinden; um Menschen einen dauerhaften Aufenthalt im All zu ermöglichen, bedurfte es hingegen komplexer Lebenserhaltungssysteme, deren Entwicklung sich als kaum weniger anspruchsvoll erwies als diejenige leistungsstarker Raketen.

Obwohl von der Forschung bislang weitgehend unbeachtet und auch von den Medien überwiegend ignoriert, beschäftigten sich Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler dies- und jenseits des Eisernen Vorhanges schon frühzeitig mit der Konzeption und Konstruktion von künstlichen Umwelten, die dem Menschen ein Leben im All ermöglichen sollten. Im Gegensatz zu den meisten anderen Feldern der Weltraumforschung herrschte zu diesen Fragen auch ein reger, block-übergreifender wissenschaftlicher Austausch. Wie die Verfasser:innen zeigen, gingen entsprechende Anstrengungen in der Sowjetunion entschieden weiter als in den Vereinigten Staaten. „Americans don’t really live in space“, wird ein russischer Kosmonaut zitiert, „they merely tolerate being in space“ (S. 72) – tatsächlich beschränkten sich amerikanische Ausflüge in den Weltraum auf wenige Tage, während die Sowjets mit einer Reihe von Raumstationen frühzeitig eine permanente menschliche Präsenz im All anstrebten, die sich nicht allein mit der Blockkonfrontation des Kalten Krieges begründete, sondern zugleich an Ideen einer kosmischen Existenz des Menschen anknüpfte, wie sie Konstantin Ziolkowski und andere zu Beginn des 20. Jahrhunderts in Russland popularisiert hatten.

Ebenso anschaulich wie eingängig geschrieben – und unterstützt durch eine ganze Reihe instruktiver Illustrationen – werden in fünf Kapiteln Meilensteine der Entwicklung und Erprobung sogenannter Life Support Systems diskutiert. Die Quellengrundlage der Untersuchung ist vergleichsweise dünn und einseitig; wie die Verfasser:innen einräumen, verhinderten nicht zuletzt adäquate Russisch-Kenntnisse die Auswertung sowjetischer Quellen. Da es ihnen jedoch über das Interesse an außerirdischem Abfall hinaus um die grundsätzlichere, kulturhistorisch relevante Frage geht, „what is considered waste [in space] and what people decide to do with it“ (S. 54), bieten veröffentlichte Studien, Denkschriften und Pamphlete kaum minder relevantes, und extensiv ausgewertetes, Material. Im ersten Kapitel wird zunächst mit dem Vorurteil aufgeräumt, dass „substantial work on the physiological, ecological, and social aspects of space flight was only conducted from the 1970s onwards“ (S. 30). Unter dem Begriff der space medicine waren derartige Fragen bereits seit Ende des Zweiten Weltkrieges erörtert worden, allerdings unter der Ägide des Militärs und unter gänzlich anderen Vorzeichen: Nicht die Schaffung von alltäglichen Infrastrukturen für den Aufenthalt im All stand im Mittelpunkt dieser Forschungen, sondern die Frage, wie belastbar Geist und Körper in Extremsituationen sind oder sein können. Wie im zweiten Kapitel ausgeführt wird, boten sich der NASA zwei grundsätzliche, technisch unterschiedlich anspruchsvolle Varianten zum Umgang mit im All produzierten Abfällen: Entweder den Abfall zu sammeln und wieder zur Erde zurückzubringen (collection and storage) oder nachhaltige Recycling-Systeme zu entwickeln (biogeneration of waste). Die symbolische Relevanz des Space Race und der politische Druck, möglichst umgehend Erfolge vorweisen zu können, führte in den Vereinigten Staaten dazu, dass man auf das collection and storage-Prinzip setzte – für ein paar Tage im All reichte der berühmt-berüchtigte „fecal bag“, obwohl sein Gebrauch mit einer Reihe von Unannehmlichkeiten einherging, die den Leser:innen auch nicht vorenthalten werden. Gleichzeitig wurde die Entwicklung funktionsfähiger, aber technisch ungleich anspruchsvollerer Recycling-Systeme weitergetrieben. Auf dem Weg zu selbst-regulierenden und regenerativen Öko-Systemen galten Algenkulturen dies- und jenseits des Eisernen Vorhanges lange Zeit als Allheilmittel. Es kam zu einer Art algae space race, das in den USA zur Entwicklung des Algotrons führte, ein Filter- und Recyclingsystem, das einem geschlossenen ökologischen Kreislauf auf der Grundlage von Algenkulturen gleichkam. Während es in den Vereinigten Staaten jedoch bei einem Prototyp blieb, ging man in der Sowjetunion weiter und entwickelte auf der Grundlage von Algenkulturen einer Reihe experimenteller Ökosysteme, die im Mittelpunkt des dritten Kapitels stehen. Langzeit-Experimente in diesen Systemen belegen, wie ernst es der Sowjetunion war, effiziente Lösungen für einen permanenten Aufenthalt von Menschen im All zu finden. Gleichzeitig machten sie auch deutlich, dass ein solcher Aufenthalt in Anbetracht der zur Verfügung stehenden technischen Mittel ungemein entbehrungsreich und strapaziös war.

In scharfem Kontrast zu diesen, lange geheim gehaltenen Experimenten versorgten „Visionäre“ wie Gerard O’Neill oder Eric Drexler in den frühen 1970er-Jahren die westliche Öffentlichkeit mit Hochglanzversionen mondäner space colonies im Weltraum.1 Abfälle sucht man in diesen Entwürfen jedoch vergebens. Obwohl die NASA sich an diesen Plänen durchaus interessiert zeigte, dachte man hier in weitaus bescheideneren Dimensionen. Erklärtes Ziel des Post-Apollo-Programms, das den Kurs für Amerikas Weltraumaktivitäten nach den Mondlandungen vorgab, war die Errichtung einer permanenten Raumstation. Als zu diesem Zweck 1978 das Controlled Environment Life Support System (CELSS)-Programm initiiert wurde, zeigte sich, dass die bisherigen Ergebnisse trotz jahrelanger, kostenintensiver Forschungen weiterhin „höchst unbefriedigend” waren (S. 97). Mit dem Ende des Kalten Krieges verfügten die Amerikaner noch immer über keine funktionsfähige Raumstation und die ab 1998 errichtete ISS verdankte ihr Zustandekommen zu einem beträchtlichen Teil russischer Technologie. Enttäuschender noch: Auch wenn die Anstrengungen des CELSS dazu führten, dass an Bord der ISS zumindest das Wasser recycelt wird, arbeitet man dort weiterhin mehr oder weniger nach dem collection and storage-Prinzip.

Im letzten Kapitel wenden sich Munns und Nickelsen dann dem Biosphere-2 Projekt zu. Obwohl bislang überwiegend im Kontext ökologischer Studien diskutiert, bildet Biosphere-2, “the largest closed-environment life-support facility ever constructed“ (S. 117), dennoch den „Höhepunkt“ der hier entfalteten Untersuchung (ebd.), denn sie bekräftigt das zentrale Argument der Verfasser:innen (scheinbar): „NASA, […], and the Soviet state, were equally unexpected sources of ecological awareness, heralding a holistic conception of life in space and on Earth remarkably earlier than the emerging counterculture that stimulated an environmental movement” (S. 14). Fraglos gelingt es Munns und Nickelsen überzeugend zu zeigen, welche Bedeutung der Entwicklung effizienter Lebenserhaltungssysteme für die Etablierung einer dauerhaften menschlichen Präsenz im All seit Beginn des Space Ages beiderseits des Eisernen Vorhanges beigemessen wurde.

Tatsächlich kamen die Initiatoren des Biosphere-Projekts aber aus der counterculture, befürworteten die Verantwortlichen des CELSS einen möglichst breiten wissenschaftlichen Austausch, ignorierten jedoch konsequent ökologische Studien, und legen die hier präsentierten Befunde insgesamt nahe, dass für die Entwicklung effizienter Lebenserhaltungssysteme bis weit in die 1980er-Jahre hinein sowohl in der Sowjetunion als auch in den Vereinigten Staaten nicht die „Natur“, sondern die „Maschine“ Ideal und Referenzpunkt aller Anstrengungen war. Die NASA und die Sowjetunion deshalb zu „Vorboten“ eines „Umweltbewusstsein“ zu stilisieren, das an heutigen Maßstäben gemessen ebenso umsichtig wie vorbildlich ausgeprägt gewesen sei, wirkt daher ein wenig überspitzt. Zumindest bleibt offen, wie und warum das Interesse an „long-term-survival“-Lösungen (S. 141), das seit den späten 1950er-Jahren beiderseits des Eisernen Vorhanges zu einer intensivierten Erforschung und Entwicklung von „closed artificial environments“ (S. 136) geführt hatte, zur Genese eines „Umweltbewusstseins“ in der westlichen Hemisphäre beitrug, das man in der östlichen Hemisphäre jedoch vergebens sucht. In diesem Zusammenhang möglicherweise nicht ganz unerheblich: So begrüßenswert eine blockübergreifende Perspektive ist, so bedauerlich bleibt, dass westeuropäische Anstrengungen im Buch kaum Berücksichtigung finden. So wird das Weltraumlabor der ESA, Spacelab genannt, mit keinem Wort erwähnt.

Keine Frage: Von einer Pionierstudie die erschöpfende Darstellung eines breiten Forschungsfeldes zu erwarten, ist schlichtweg unangemessen. Trotz einiger Widersprüche und offener Fragen legen die Verfasser:innen ein äußerst lehrreiches Buch vor, das nicht zuletzt auch dafür zu begrüßen ist, dass es die Aufmerksamkeit von den „tollkühnen Männern“ und ihren „fliegenden Raketen“ auf ein bislang vernachlässigtes, scheinbar profanes, aber kaum weniger spannendes Feld der Geschichte der Weltraumtechnik lenkt.

Anmerkung:
1 Vgl. dazu Patrick McCray, The Visioneers: How a Group of Elite Scientists Pursued Space Colonies, Nanotechnologies, and a Limitless Future, Princeton 2013.

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